Lieben
Um nicht in den Fluten meiner Emotionen zu ertrinken, habe ich ein Modell zur Liebe entwickelt. Jede Verbindung zwischen zwei Menschen hat ihre eigene Intensität und Daseinsberechtigung und jede Form ist unglaublich besonders und schön. Aber je tiefer wir kommen, desto mehr realisieren wir, was Liebe sein kann.
Oft denken wir, Liebe sollte einfach funktionieren. Wenn sie da ist, ist sie da. Ich denke, das ist ein sehr naiver Gedanke und fern jeglicher Realität. Der Mensch ist ein durch und durch Angst-behaftetes Wesen. Unsere Grenzen werden von unseren Ängsten bestimmt. So auch unsere Grenze zu unseren Fähigkeiten zu Lieben.
Die Liebe zu einem anderen Menschen ist nur in dem Maße möglich, in dem wir uns selber lieben.
Die Tiefe, Ehrlichkeit und Akzeptanz mit der wir uns selbst begegnen, entscheidet über die Tiefe der Liebe, die wir für andere Menschen empfinden können.
Lieben kostet Mut.
Je tiefer wir einem anderen Menschen begegnen, desto tiefer ist sein Zugriff auf unser Herz, im positiven, sowie im negativen.
Einem anderen Menschen diesen Zugriff zu gewähren, ist immer ein Risiko, und wie weit wir uns auf dieses Risiko einlassen können, hängt von der Basis an Selbstliebe ab, die wir in uns haben. Man könnte sagen, sie ist unser Schutz- und Heilungsmechanismus.
Je mehr wir uns auf das Risiko einlassen, desto ehrlicher sind wir mit uns selbst und wie ich schon im Artikel Das Durchbrechen der Grenze geschrieben habe:
Ein ehrliches Herz sucht nicht nach Sicherheit sondern nach der puren Hingabe an das Leben.
Die weltliche Verbindung
Die weltliche Verbindung ist die leichteste. Sie passiert schnell und ist am offensichtlichsten.
Es passt einfach alles. Die Umstände, Wünsche und Erwartungen scheinen perfekt miteinander vereinbar zu sein. Nicht selten ist der Anfang für diese Art der Liebe eine starke körperliche Anziehung. Die Person gleicht unsere Macken aus und unterstützt unsere Stärken. Die Beziehung findet schnell eine funktionierendes harmonisches Miteinander, in dem sich beide einig sind. Man fühlt sich vollständig, geborgen, angenommen. Meist stellt die Person einen sicheren Ort dar. Es gibt keinen rationalen Grund, der gegen diese Verbindung spricht.
Die weltliche Verbindung kann sich auch entwickeln, entstehen oder vergehen, je nachdem, wie wir uns verändern.
Die tiefe Verbindung
Die tiefe Verbindung ist vielleicht genau so intensiv, aber geht weiter. Schon früh besteht eine tiefe Vertrautheit und man hat das Gefühl, man kennt sich schon ewig. Es gibt Reibungspunkte aber die werden in all der Begeisterung füreinander wohl wollend angenommen.
Die Lebensumstände passen oder müssen angepasst werden, aber auch wenn es bei der weltlichen Verbindung schwierig ist, sind beide bereit, sich zu bewegen. An sich zu arbeiten, Muster zu hinterfragen, aus der Komfortzone zu gehen.
Diese Verbindung ist die, die uns oft auch in toxischen Beziehungsmustern festhält. Wir können es uns vielleicht gar nicht erklären (hier hat die Psychologie ganz gute Erklärungen), aber ob es uns gut tut oder nicht, wir bleiben oder wollen immer wieder zu dieser Person zurück. Egal, wie oft man schon an dem Punkt war, dass man ohne einander eigentlich besser dran wäre, es besteht eine Verbindung für die es sich bis zu einem gewissen Punkt auch zu kämpfen lohnt.
Die seelische Verbindung
Und dann gibt es noch die seelische Verbindung.
Eine Liebe, die nichts will und nichts braucht. Ein Gefühl, das einfach da ist. Es gibt vielleicht gar keine logische Erklärung, aber die Intensität, lässt keinen Zweifel.
Der Kontakt fühlt sich von Anfang an leicht und natürlich an. Diese Beziehung ist eventuell gar nicht dafür gemacht, zu existieren (wenn es im weltlichen nicht passt) aber die Verbindung besteht. Ein tiefes Verständnis für den anderen auf einer Ebene, die unter allem anderen liegt. Es ist ein Verständnis für die Gefühlswelt. Nicht unbedingt für die Handlungen und den Umgang mit den Gefühlen. Aber wenn es um tiefe Sehnsüchte, Schmerz oder Verletzungen geht, verstehen sich beide auf eine ehrliche und tiefe Art und Weise, die einzigartig ist.
Die seelische Verbindung allein, ist ein überwältigendes Gefühl. Auch wenn der Verstand versucht, hier seine Konzepte überzustülpen und einem Erwartungen einzureden - im Grunde ist man frei von Erwartungen. Man wünscht sich aus tiefstem Herzen, dass die andere Person den für sich richtigen Weg findet. Ganz egal, ob man selbst Teil davon ist, oder nicht.
Aus der seelischen Verbindung entwickelt sich nicht selten zusätzlich eine tiefe Verbindung, wenn man Zeit mit der Person verbringt. Plötzlich schleichen sich Erwartungen und Hoffnungen mit rein. Auch wenn diese nicht annähernd dieselbe Dringlichkeit haben, wie in der weltlichen Liebe.
Es kann sein, dass sie uns vorerst eher irritierend und nicht greifbar erscheint.
Wenn wir noch nicht die entsprechende Kapazität zu Lieben besitzen, versteckt sich die seelische Verbindung in einem uneindeutigen Gefühl von Anziehung, Neugier oder Faszination und das kann - wenn es nicht mit der weltlichen Verbindung kombiniert ist - in seiner Intensität eher überrumpelnd wirken.
Es kann sogar Angst machen, da eine Liebe dieser Tiefe an diesem Punkt bedrohlich sein kann.
Lieben kostet Mut. Doch je mehr wir uns auf dieses Risiko einlassen, desto treuer sind wir unserem Herzen.
Sich dem Herzen mit allem, was man hat hinzugeben bedeutet, sich dem Leben hinzugeben.
Und wenn wir dieses Risiko eingehen, ist jede Sekunde unseres Lebens, jeder Schmerz und jedes Glück, jede Träne und jedes Lachen ein Geschenk.