Empathie

Empathie

Nov 7, 2025
Wie viele Jahre habe ich damit verbracht, mir zu wünschen, ich würde weniger fühlen.
Wie viele Tränen habe ich geweint, aus Wut und Verzweiflung über mich selber und das Chaos meiner «unangebrachten» Gefühle.
Wie lange habe ich Empathie als eine Schwäche gesehen. Habe versucht sie auszuschalten. Sie auf das Nötigste zu reduzieren.
Als ich begann, meine Gefühlswelt annehmen und verstehen zu wollen, verbrachte ich Stunden auf der Suche nach Informationen, Büchern und Artikeln über dieses Mysterium Empathie. Aber die schlausten Konzepte können uns nicht helfen, Gefühle zu verstehen. Wenn wir sie wirklich verstehen wollen, müssen wir uns mit unserem ganzen Körperempfinden auf die Erfahrung einlassen.
 
Mir hilft hierbei eine Einordnung in die Ebenen. Die Psychologie nennt es emotionale Empathie (E2) und kognitive Empathie (E1). Ich verwende jedoch nicht diese Begriffe, weil ich hier meine eigene Definition erläutern will. In vielen Teilen überschneiden diese sich jedoch mit denen der Psychologie.
 

Empathie auf E2 (emotionaler Ebene)

Emotionale Empathie bedeutet, die Gefühle einer anderen Person förmlich zu fühlen. Wir durchleben sie, als wären es unsere eigenen. Die Emotionen des Menschen sind vielschichtig, können sich innerhalb von Sekunden verändern oder sich gar im selben Moment widersprechen.
Die emotionale Empathie nimmt das alles wahr. Sie spürt jede Veränderung, jeden Widerspruch, jede Freude und jedes Zögern. Sie ist in der Lage, Gefühle wahrzunehmen, die die Person selbst vielleicht noch nicht einmal erkannt hat.
Was uns jedoch klar sein muss:
Wir können keine Gefühle fühlen, die wir selbst nicht kennen.
Das bedeutet, dass jedes Gefühl, das wir von unserem gegenüber aufnehmen, zwangsläufig in unseren Erfahrungsschatz eingeordnet wird. So basiert das, was wir wahrnehmen im Endeffekt auf unseren eigenen Erfahrungen.
Je besser wir unsere Mitmenschen verstehen wollen, desto intensiver müssen wir uns also mit unserer eigenen Gefühlswelt auseinandersetzen.
Ein Erforschen, das niemals beendet ist. (Für mich ist es genau deshalb wie ein unglaublich spannendes, niemals endendes Abenteuer) Es tauchen immer wieder neue Gefühle auf und in den tiefen unseres Unterbewusstseins sind unendlich viele Situationen abgespeichert, von denen wir bewusst schon gar nichts mehr wissen.
Doch je besser wir uns selbst kennen, desto klarer können wir unsere und andere Gefühle einordnen.
Die emotionale Ebene ist eine unendliche Suppe an Emotionen. Sie ist eigentlich viel zu komplex, um es in Worte zu fassen. Um in dieser Welt klar zu kommen, braucht der Verstand jedoch Kategorieren, Schubladen und Konzepte, in die wir unsere Wahrnehmung einordnen können, sodass wir zumindest ein gewisses Maß an Orientierung haben.

Empathie auf E1 (kognitiver Ebene)

Die kognitive Empathie funktioniert rein über das Denken. Wir verstehen die Handlungen und Gefühle. In der Psychologie finden wir unzählige Konzepte und Ideen, die uns Verhaltensweisen erklären können. Seien es unsere eigenen oder die von Anderen - wenn wir es verstehen, können wir es leichter akzeptieren oder zumindest entschuldigen.
Das kann unserem Verstand helfen, in dem Chaos und der Intensität der Menschheit klar zu kommen.
Doch wenn wir unsere Mitmenschen wirklich begreifen wollen, reicht es nicht, nur den Verstand einzusetzen, denn er ist viel zu begrenzt um die Komplexität der Gefühle zu begreifen.
Wenn wir das Verständnis rein auf kognitiver Ebene belassen, wird unser Herz weiterhin von Unverständnis, Urteil und Verletzung geprägt sein.
Die Intellektualisierung von Gefühlen ist in unserer Gesellschaft ein beliebtes Mittel um sich vor dem Schmerz zu schützen. Um funktionierend zu bleiben. Es scheint leichter, die Gefühle im Kopf zu belassen. Denn sie mit unserem ganzen Körper zu fühlen und zuzulassen, kann uns für Momente komplett aus der Bahn werfen. Der Schmerz kann uns einnehmen und mit Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung überfluten.
Doch wenn wir uns nicht in der Isolation verlieren wollen, müssen wir unsere Gedanken UND unser Herz für andere Menschen öffnen.
Wir müssen durch den Schmerz durchgehen um Verständnis und Liebe siegen zu lassen.
 

 

Nachteile

..die entstehen, wenn wir nicht gelernt haben mit Empathie umzugehen.
 

Eigene Gefühle unterdrücken

Empathie kann dazu führen, dass wir aus lauter Verständnis für die Handlungen Anderer, unsere eigenen Verletzungen unterdrücken. Doch so sehr wir sie auch verstehen können, so sehr können wir dennoch verletzt oder wütend sein. Es zeugt von einer gewissen emotionalen Reife, diese Gefühle regulieren zu können aber dennoch: sie müssen gefühlt werden. Trotz Verständnis können und müssen wir uns selbst einen Raum geben, den Schmerz zu fühlen, die Wut zuzulassen, die Verzweiflung zu spüren. Dies kann durchaus auch eine Kommunikation der eigenen Gefühle bedeuten.
 

Eigene Grenzen werden vergessen

Damit einher geht oft die Schwierigkeit seine eigenen Grenzen zu setzen. Denn dies kann bedeuten, den anderen kritisieren zu müssen, ihn eventuell vor den Kopf zu stoßen. Wir stellen hier Erwartungen auf und auch wenn diese für uns noch so selbstverständlich scheinen mögen, kann es für die andere Person eine Veränderung oder sogar Einschränkung in ihrem bisherigen Verhalten bedeuten.
Je näher ich einer Person bin, desto schwieriger fällt es mir persönlich, sie in ihrem Verhalten einzuschränken. Wenn wir uns selbst treu sein wollen, ist dies jedoch manchmal nötig. Von hier aus liegt es an der Person zu entscheiden, ob sie wirklich Zeit mit uns verbringen will oder nur dann, wenn wir der Idee entsprechen, die sie von uns hat. Denn unsere Bedürfnisse sind ein Teil von uns.
Wichtig ist es hierbei zu verstehen, dass diese nicht rational sein müssen. Unterschiedlichste Erfahrungen erzeugen unterschiedlichste Bedürfnisse und Grenzen und was für die Eine kein Problem ist, kann für den Anderen eine große Schwierigkeit sein. Und das ist okay, normal und menschlich. Wenn wir diese Legitimation anerkennen, können wir sie ohne schlechtes Gewissen kommunizieren und wenn nötig einfordern.
 

Beispiele

1. Verantwortung für fremde Gefühle übernehmen

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Es ist wichtig, dass wir auf beiden Ebenen die Verantwortung für uns selbst übernehmen. Also für unsere Gefühle und für unser Handeln. Das bedeutet auch, sich damit auseinanderzusetzen, was unsere Worte und Handlungen bei Anderen auslösen können. Hier ist es ganz egal, ob wir über die kognitive oder emotionale Ebene vorgehen. Jede unserer Handlungen hat Folgen. Auf jede Aktion folgt eine Reaktion und jedes Wort löst etwas in anderen aus. Wir müssen es nicht immer verstehen können, aber ein Bewusstsein für “die andere Seite” zu entwickeln ist essentiell für ein Miteinander.
Doch die Fähigkeit der Empathie kann uns dazu führen, dass wir versuchen, die Verantwortung über die Gefühle und die Handlungen von anderen Personen zu übernehmen. Es ist ein Balanceakt zwischen Verständnis und Schuld.
Was aus der Übernahme der Eigenverantwortung einer Person resultiert, ist im Endeffekt jedoch eine Bevormundung und Kontrolle.
Es liegt in der Natur unseres Verstandes, kontrollieren zu wollen. Denn seine Aufgabe ist es unter anderem, Situationen einzuordnen und uns vor Gefahren zu schützen. So gilt Unbekanntes erst mal als Verunsicherung und Gefahr.
Aber sobald wir die Verantwortung über die Gefühle, sowie die Handlungen von Anderen übernehmen, verlieren wir zum einen uns Selbst aus den Augen und drücken zum anderen die Person in eine schwächere Rolle. Wir nehmen ihr die Möglichkeit zur Eigenverantwortung und hemmen so ihren emotionalen Wachstum.
Wir geben Aufmerksamkeit, obwohl wir eigentlich gerade Zeit für uns brauchen. Wir geben Verständnis, wo wir nicht verstehen können. Wir geben Geduld, obwohl jede Minute unser Herz zerreißt und wir geben unseren Körper, auch wenn wir gerade gar keine Lust empfinden. Vielleicht wissen wir schon gar nicht mehr, was wir eigentlich wollen, da es unter den Bedürfnissen von Anderen vergraben ist.
Denn es ist so leicht. Wir geben uns Selbst und der anderen Person scheint es besser zu gehen. Doch das ist nichts anderes, als eine Wunde verstecken zu wollen, die eigentlich geheilt werden müsste. Eine Heilung, die nicht von außen passieren kann. Die nur bei der Person selbst liegt und bei niemand Anderem. Jeder Versuch, die Wunde zu stillen, ist ein Verschließen vor der Realität.
 
 

2. Selbstaufopferung - Die Heldin

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Es ist letztendlich eine andere Form der Kontrollübernahme - nur, dass es noch einen Schritt weiter geht, als die Verantwortung zu übernehmen. Hier geht es wirklich darum, sich für eine andere Person ins Feuer zu schmeißen - auch wenn diese vielleicht gar nicht danach gefragt hat.
Es ist die Selbstaufopferung für das Glück von Anderen. Dem zugrunde liegt meist ein tiefes Gefühl von Schuld oder Scham, nun jedoch verpackt, in einer schicken Heldenrolle.
Wir nehmen unsere eigenen Verletzungen in Kauf, um die der Person zu mildern. Einen emotionalen Schmerz zu ertragen - sei es der eigene oder der einer anderen Person - bedeutet, dass wir die Kontrolle los lassen müssen.
 
Vor allem wenn wir wissen, dass wir etwas gut können, kann es passieren dass wir anderen Personen diese Herausforderungen abnehmen wollen. Das gleiche gilt auf emotionaler Ebene.
Beispielsweise bin ich mir meiner emotionalen Kompetenzen bewusst. (Zum Teil hängt das sicherlich auch damit zusammen, das Mädchen in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft bereits früh die Aufgabe der Organisation von Emotionen - vor allem die der Anderen - auferlegt wird. ) Diese Kompetenz die ich mir gerade zuspreche, mag - bei meinen unzähligen emotionalen Krisen, die ich hier manchmal durchblicken lasse - den ein oder Anderen überrascht die Augenbraue hochziehen lassen. Aber dieses emotionale Auf und Ab ist eine - wenn auch nicht immer bewusste  - Entscheidung, bestimmte Gefühle und Gedanken nicht runter zu drücken, sondern ihnen Raum zu geben und sich mit ihnen zu konfrontieren. Denn die menschliche Psyche hat immer die Möglichkeit der Verdrängung und des Wegsehens. (Mehr dazu im Artikel «Der Verlauf des Lebens») (Die Kapazität sich ihnen zu stellen hat selbstverständlich nicht ausschließlich was mit emotionaler Stärke zu tun, sondern auch mit vielen anderen Faktoren wie zB. der Erfüllung bestimmter Grundbedürfnisse, einem Gefühl von Sicherheit etc.)
Jedenfalls kann das dazu führen, dass wir versuchen, unseren Mitmenschen diese Arbeit (sei es auf E1 oder auf E2) abnehmen zu wollen. Plötzlich arbeiten wir uns durch den Schmerz und die Aufgaben durch, die eigentlich bei ihnen liegen, da wir genau wissen, dass wir es meistern können.
Es ist vergleichbar mit einem Erwachsenen, der seinem Kind die Matheaufgaben aus der Hand nimmt um sie zu lösen, anstatt es selbst zur Lösung finden zu lassen oder dazu zu verhelfen.
Die Waage zwischen Unterstützen und Aus-der-Hand-nehmen ist nicht immer eindeutig, aber notwendig zu erkennen, wenn wir unsere Mitmenschen wirklich unterstützen wollen und nicht klein halten.
 

3. Überanpassung:

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Man nennt sie die people pleaser.
Das sind meistens sehr sensible Menschen, die in einem Umfeld mit schlechter Kommunikation und uneindeutigen Erwartungen aufgewachsen sind. Der Mensch ist extrem vielschichtig. Nicht selten widersprechen sich unsere eigenen Erwartungen und Wünsche. Für ein Kind ist die Akzeptanz, Liebe und Bestätigung der Eltern das Wichtigste überhaupt. Wenn also uneindeutige Signale gesendet werden, kann das dazu führen, dass das Kind krampfhaft versucht, jeden Wunsch zu lesen und vorauszusehen.
Ein Kind ist für das Überleben auf die Eltern angewiesen, deshalb ist es das wichtigste, deren Liebe und Zuneigung zu gewinnen. Diese Kinder haben ihre Empathie genutzt, um zu überleben. Nachdem wir unsere Eltern schon von der Wiege aus beobachten und studieren konnten, hat das vielleicht gut funktionieren können. Im Erwachsenenalter jedoch, treffen wir meist auf Menschen, die wir nicht schon unser komplettes Leben kennen lernen konnten. So verlieren people pleaser sich oft in der ständigen Bemühung, etwas zu deuten, was ohne offene Kommunikation ein reines Glücksspiel ist.
People pleaser in ihrer Hochphase wissen schon gar nicht mehr, was sie überhaupt wollen, da sich ihre Bedürfnisse so um die der Anderen winden. Es können durchaus charakterstarke Menschen sein, denn es braucht neben Empathie auch eine Form der Willensstärke, um ständig das Umfeld einzuschätzen und sich daran anzupassen. Ihre Wortwahl variiert, ihr Tonfall variiert, ihre Gedanken und Gefühle varrieren. Sie wissen genau, welche Fragen die anderen hören wollen, was diese gerade brauchen und sie geben alles dafür, ihnen genau das auch zu geben. Es sind unglaublich liebenswerte Menschen, die in einer ständigen Bemühung leben, die Bedürfnisse von anderen zu erfüllen.
Doch dahinter steht ein verzweifelter Hilferuf, geliebt zu werden. Ein Hilferuf, der nie gehört werden kann, wenn sie nicht anfangen, sich selbst Gehör zu schenken und ihre eigenen Bedürfnisse als ebenso wichtig anzuerkennen, wie die der Anderen.
Unsere Verletzungen zwingen uns dazu, Dinge zu lernen, die wir sonst vielleicht nie gelernt hätten. So sind people pleaser Meister der Anpassung. Gibt man ihnen eine Aufgabe, erfüllen sie diese ins Detail. Wenn sie es also schaffen, ihre Wunden zu heilen, bleiben extrem empathische Mensch mit einem Herzen aus Gold, die Systeme besser und größer werden lassen können, als andere es sich überhaupt vorstellen können.
 
Ich bin selbst sehr weit davon entfernt, eine pleaserin zu sein. Aber genau deswegen lasse ich mich sehr gerne von dem Perfektionismus, dem Auge fürs Detail, der Höflichkeit, der Anpassungsfähigkeit und der Umsichtigkeit dieser herzensguten Menschen inspirieren und freue mich, wenn ich ihnen im Gegenzug (bei Bedarf) was von meiner Revolution gegen die Anpassung abgeben kann.
 

 

Voraussetzungen

…um Empathie postiv nutzen zu können.
 

1. Selbstakzeptanz

Selbstakzeptanz ist hier gleich zu setzen mit Selbstliebe. Doch der Schritt vor dem Lieben, ist erst einmal die Akzeptanz.
Die Beziehung, die wir zu uns selber haben, ist entscheidend für die Beziehungen, die wir zu unseren Mitmenschen haben. Wie können wir von anderen erwarten, dass sie uns annehmen, lieben und respektieren, wenn wir es selber nicht einmal schaffen? Es ist, als würden wir erwarten, dass andere etwas meistern, dass wir selbst eigentlich nicht für möglich halten. Dass sie einen Defizit von uns kompensieren, während wir ihn fleißig weiter nähren.
Je größer diese Wunde ist, desto größer ist die Angst vor Ablehnung und desto größer ist unsere Aufmerksamkeit auf diesem Gefühl. Es kann sein, dass wir fast schon nach den Menschen suchen, die eine Ablehnung gegen uns verspüren. Denn diese wird es immer geben. Wir sind alle so unterschiedlich und jeder hat seine eigenen Dämonen zu bekämpfen.
Jeder sucht was anderes und braucht was anderes. Alles was wir machen können, ist uns nicht davon abzuhalten UNS voll und ganz zu leben. Nur von da aus können unsere Mitmenschen entscheiden, ob sie den Weg mit uns gehen wollen oder nicht. Und nur von da aus können wir diese Entscheidung akzeptieren, ohne unseren Wert in Frage zu stellen.
Denn wenn wir uns selbst annehmen, dann treffen wir unsere Entscheidungen aus dem Herzen heraus. Das bedeutet, wir Handeln um des Lebens Willen und nicht für die Bestätigung von Außen.
 
Beispiel
Ich war lange (außerhalb meiner Familie und Freunde) wirklich extrem schüchtern. Ich habe mich nicht getraut Fragen zu stellen, Wünsche zu äußern, Träume zu formulieren. Aufgrund meiner intensiven Gefühlswelt, waren auch meine Gedanken schon immer sehr extrem, überschwänglich, einnehmend und außerhalb dessen, was viele Menschen als «normal» ansehen. Ich spürte (damals unbewusst), dass sobald ich mich kommunizierte, ich die Menschen in meine Intensität zwang. Also dimmte ich sie und zurück blieb etwas, das nicht ich war und ich fühlte mich noch unwohler in meiner Haut. Ich wollte den Menschen meine Intensität ersparen. (Mehr dazu in dem Artikel «zu viel»)
Das ganze änderte sich, als mir klar wurde, dass ICH es war, die mit der Intensität meiner Gefühle überfordert war. Ich selbst verunsicherte mich mit meinen verrückten Ideen und Gefühlen und ich selbst hielt es für besser, sie der Welt zu ersparen. So suchte ich mir unbewusst ein Umfeld, das mir meine Perspektive bestätigte. Ich spürte förmlich ihre Ablehnung meiner intensiven Gefühle.
Seitdem ich lerne das alles an mir anzunehmen, begegne ich Menschen, die sich freuen, von meiner Emotionalität mitgerissen zu werden. Selbstverständlich gibt es auch Menschen denen ist das zu viel. Oder andere, die das super finden, aber auf Entfernung. Und das ist das okay so.
Solange ich alles, was ich bin in die Waagschale werfe, bin ich vollständig. Von hier aus kann ich entscheiden, welcher Kontakt mich in meinem Sein bestärkt und welcher mich oder die andere Person einschränkt, demotiviert oder zurück zieht.
 
Mit dem Annehmen und Entwickeln unserer Empathie und dem Setzen unserer Grenzen, schaffen wir uns fast schon automatisch ein Umfeld, dass die Empathie als Geschenk sieht und nicht als Bedrohung.
 

2. Empathie auf beiden Ebenen

Wir brauchen Empathie auf beiden Ebenen. Nur dann wird der Menschheit auch mit dem Herzen bewusst, was wir gerade unserer Lebensgrundlage oder unseren Mitmenschen antun. Nur dann sind wir offen dafür wahrzunehmen, welche Verletzung unsere Handlungen bei anderen auslösen können. Erst wenn wir uns selbst und Anderen mit Mitgefühl begegnen können, besitzen wir die Kraft, die Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen.
Gleichzeitig nutzen wir unseren Verstand um Gefühle einzuordnen und uns nicht in einem Brei an Emotionalität zu verlieren. Der Verstand kann Umstände, Hintergründe, Vergangenheit, Worte und Taten miteinbeziehen und einordnen, wo das Herz allein im Dunkeln tappt.
 

3. Annehmen und dahinter sehen

Wenn wir einen Menschen wirklich annehmen wollen, bedeutet das, dass wir uns für all seine Facetten öffnen. Jeder Mensch trägt etwas dunkles in sich. Wir müssen nur in die Welt sehen und das Potenzial zum Bösen im Menschen wird deutlich. Ein Potential, das jede und jeder Einzelne in sich trägt. Wir können uns nicht vorstellen, wie wir selbst handeln würden, wenn wir in einem anderen Umfeld aufgewachsen wären oder mit anderen Situationen konfrontiert werden würden. Ich persönlich denke, wir sind Alle zu Allem in der Lage. Ins positive, sowie ins negative.
Wie kann ich nun also den Schmerz in mir und anderen Menschen annehmen, ohne ihn zu nähren?
Wir dürfen in dem Schmerz nicht stehen bleiben. So dunkel unsere Gedanken und Gefühle auch sein mögen, tragen wir alle in den Tiefen ein Kraft, die darüber hinaus geht. Eine Kraft, die Stärker ist, als jeder Hass, jedes Leid und jeder Schmerz: die Liebe.
Hier geht es um eine Gratwanderung die nicht immer offensichtlich ist. Es geht darum eine Person anzusehen, ihren Schmerz voll und ganz anzunehmen, sein zu lassen und gleichzeitig, das Schöne zu erkennen, das wir alle dadrunter sind.
Die Welt ist voll von Freude, Liebe, Leidenschaft. Aber sie ist auch voll von Leid, denn das ist alles Teil des Menschen. Wir müssen anfangen, unser Herz für das Leid zu öffnen. Mit unserem Körper wahrnehmen, was wir mit unserem Verstand schon wissen. Um uns nicht in Machtlosigkeit und Hoffnungslosigkeit zu verlieren, dürfen wir hierbei auf keinen Fall vergessen: was wir fühlen, sind UNSERE EIGENEN Gefühle. Und sie werden so lange im Unterbewusstsein wühlen, bis wir bereit sind, ihnen zu begegnen. Mit unserem Verstand, mit unserem Herzen, mit unserem Körper - mit allem, was wir sind.
 

 
 
Früher galt es als Stärke, trotz den Gefühlen unseres gegenüber hart zu bleiben. Denn dies galt als stabil und leistungsfähig.
Heute brauchen wir eine neue Stärke. Eine Stärke die darauf beruht, den Raum für die aufkommenden Emotionen halten zu können. Unser Herz zu öffnen, zuzuhören. Hinzugucken. Und das, ohne uns in unserem eigenen Schmerz und unseren eigenen Erinnerungen zu verlieren.
Nur so können wir alle zusammen eine Welt erschaffen, die sich der Menschlichkeit des Fühlens hingibt.
Denn dafür leben wir. Dafür sind wir Menschen.
Um zu fühlen. Was wir dafür brauchen, ist die Stärke, uns wahrhaftig begegnen und sehen zu können.
 

 

Aus meinem Leben

Emotionale Empathie in der Improvisation

Einer meiner letzten Klassenabende in meinem Bachelorstudium (Winter 2023) war für mich ein kleiner Totalausfall. Ich weiß schon gar nicht mehr, welches Stück ich spielte, aber ich erinnere mich noch ganz genau an jedes meiner Gefühle.
Ziemlich weit vorne und direkt in meinem Blickfeld saß ein Mann, der bereits nach den ersten Tönen anfing, auf die Uhr zu gucken. Er schien nicht sehr mitgerissen zu sein, von dem was ich hier auf der Bühne veranstaltete. Vielleicht war er es auch einfach nicht gewohnt, eine Stunde lang Trompete im Ohr zu haben. Oder er hatte ein schlechtes Zeitmanagement und müsste eigentlich los zum nächsten Termin. Ich war jedenfalls gerade in meinem eigenen Film.
Während meine Augen weiterhin auf die Noten gerichtet blieben, lag mein Fokus nur noch auf diesem gelangweilten Mann, der unbeeindruckt das Programm studierte, während ich alles dafür tat, der Welt die perfekte Trompeterin zu bieten, von der ich in diesem Moment nicht weiter hätte entfernt sein können.
Plötzlich kam alles hoch. All der Schmerz, in einer von Männern geschaffenen Welt zu leben, in der meine wahre Stimme kein Gehör findet. All die Verzweiflung über die Gefühle, die ich mich nicht traute in Worte zu fassen, weil sie zu emotional, zu verrückt, zu schwach klingen könnten. All das, was ich von mir zurückgehalten hatte, um nicht zu viel, zu unangenehm, zu anders zu sein.
Ich verkrampfte völlig, kämpfte mich zwischen Wut und Verzweiflung durch das Stück und lies den Applaus mit einem erzwungenen Lächeln über mich gehen. Ich funkelte den - wahrscheinlich nichts ahnenden - Mann noch einmal bitterböse an und verlies die Bühne, bevor ich unter Tränen meinen Eltern - die extra für das Konzert nach Frankfurt gefahren waren - in die Arme fiel. «Ich will, dass man mir zuhört!» stieß ich noch hervor, bevor meine Worte von dem verzweifelten Schluchzen verschluckt wurden. Meine Eltern, die meine emotionalen Anwandlungen zwar selten verstanden aber schon gut kannten, taten ihr Bestes, mich zu beruhigen.
Ich weiß, dass die Situation eine andere gewesen wäre, hätte ich das Stück abgebrochen, mich von dem (für mich empfundenen) Zwangskorsett der Noten befreit und improvisiert. Das ausgedrückt, was in diesem Moment in mir schrie, ausgedrückt zu werden. Die Blockade hätte sich mit einem Mal aufgelöst und ich hätte meine Verzweiflung in die Musik packen können. Denn das ist, was Improvisation mit mir macht. Es ist wie eine andere Welt, als die der Noten. Eine für mich freiere Welt. Eine Welt, in der ich niemand anders sein muss, als ich selbst.
Als ich nach Lyon zog, wollte ich mich in den Jazz stürzen, aber schnell wurde mir klar, dass mir hier die nächsten Regeln auferlegt werden würden. Im Moment mag ich genau das an meiner Improvisation. Das freie, unvorhersehbare, unbestimmte, vielleicht auch ein wenig naiv-unbeholfene, aber vor allem regelfreie - aus dem Moment heraus.
Wie ich in dem Artikel Kontrolle vs. Führung am Ende beschreibe, braucht es auch für die Freiheit gewisse Regeln. Ich werde meinen eigenen Ausdruck in der Improvisation vermutlich erst dann finden, wenn ich es schaffe, ein paar sinnvolle Regeln zu integrieren. Mit meiner klassischen Ausbildung ist es ja bereits jetzt ein Repertoire an Regeln, an das ich beim Improvisieren unbewusst anknüpfe.
Aber an erster Stelle steht für mich, eine Improvisation zu finden, die aus dem Herzen kommt. Die dieselbe Freiheit hat, wie die Welt der Emotionen. Die dieselbe Ehrlichkeit und Irrationalität haben darf, wie mein Herz.
In der klassischen Musikwelt war es meine Schwäche, dass ich meine Emotionen, sowie die meiner Kolleg:innen und die des Publikums mehr wahrnahm, als die Musik. In der Welt, die ich mir gerade aufbaue, kann jedoch genau das meine Stärke sein. An die Emotionen anknüpfen, die sind. Und die Musik nutzen, um diesen Gefühlen eine Form zu geben.
 

Emotionale Empathie in einer Paarbeziehung

Nachdem ich all die tief verankerten Ideen meiner Zukunft auf den Kopf gestellt habe und gründlich von allen Seiten unter die Lupe genommen habe, stand auch das Thema Beziehung/Familie auf dem Prüfstand. Für den Moment habe ich eingesehen, dass ich hoffnungslose Romantikerin es für einen unglaublich schönen Gedanken halte, mit einer Person zusammen zu wachsen und sein Leben zu teilen - wobei ich natürlich nie wissen kann, was das Leben so für mich bereit hält.
Aber..
Wie soll es jemals jemand mit mir an seiner Seite aushalten?!
Mit all diesen Emotionen! Mit dem ewigen Bedürfnis, aus jedem Moment das tiefste Empfinden rauszuholen. Mit der endlosen Leidenschaft, die immer noch mehr und noch mehr aus dem Leben schöpfen will. Mit den ständigen Expeditionen außerhalb der Komfortzone, weil da das Leben erst wirklich fühlbar wird. Und vor allem: mit dem emotionalen Spiegel, der alles liest und dem keine emotionale Veränderung seines Gegenübers entgeht.
Das betrifft letztendlich jede Art von Beziehung, nur kann man es in Freundschaften oft leichter dosieren, als in Paarbeziehungen.
 
Ich denke an all die Menschen, die in Beziehungen stecken, in denen sie mit dem Gefühl leben, zu viel zu fühlen und die versuchen ihrem Partner oder ihrer Partnerin eine Version von sich selbst zu präsentieren, die rationaler, funktionierender und weniger fühlend wirkt.
Eine Krankheit unserer Leistungsgesellschaft, die es geschafft hat, selbst die schönste Sache überhaupt - die Liebe - zu einer zweckmäßigen Angelegenheit werden zu lassen. In der die Verbindung zwischen zwei Menschen zu einem wirtschaftlichen Unterfangen wird, in dem es um Sicherheit und Funktionalität geht. In der die Offenheit, zu lieben und sich zu verbinden, zu einer großen verzweifelten Suche nach der richtigen Person wird.
 
Empathie kann aus einer Beziehung die tiefste und ehrlichste Verbindung locken, die wir uns vorstellen können. Denn Verständnis - auf kognitiver aber vor allem auf emotionaler Ebene - ist der Schlüssel, der eine Verbindung zum blühen bringt.
Wenn wir lernen unsere Gefühle zu erkennen und zu kommunizieren, ist das, was bleibt, die Fähigkeit, eine andere Person in ihrer Essenz zu fühlen.
Wenn wir aufhören, unsere Empathie einzuzäunen und uns krampfhaft an Rationalität festzuhalten, begegnen wir Menschen, die sich von uns zutiefst gesehen und verstanden fühlen können. Empathie ermöglicht uns Verbindungen, die tiefer und essentieller sind, als alles andere. Wir müssen uns nur darauf einlassen.
 
Wir müssen aufhören davor wegzurennen, uns selbst und anderen ehrlich zu begegnen.
Denn wenn wir wirklich mit dem Herzen zuhören, begegnen wir auch Menschen, die mit dem Herzen gehört werden wollen.